(pwe) Irgendwann im Sommer oder Frühherbst 1938 wurde ein jüdischer Mitarbeiter der Apollo Garage während der Arbeitszeit von der „Schutzpolizei“ abgeholt. „Sie zerrten ihn hinaus“, erinnerte sich der Sohn des Hauses, Kurt Weber. Es war eines der schrecklichen Erlebnisse aus dieser Zeit, auf die er lebenslang in Erzählungen immer wieder zurück kam. Er war damals sieben Jahre alt und konnte sich später nur an den Nachnamen erinnern: Herr Gussmann, der Neuwagenverkäufer. Er wußte allerdings nicht, was mit ihm passiert war. Herr Gussmann soll nach der Verhaftung nie mehr ins Unternehmen zurückgekehrt sein.
Ursache der Verhaftung soll ein Vorfall mit einer Gemüsehändlerin gewesen sein, die ihren kleinen Laden gegenüber der Apollo Garage hatte. Herr Gussmann, Neuwagenverkäufer im Unternehmen, pflegte wohl über Jahre morgens bei ihr Obst zu kaufen. Und zwar genau drei Stück: Jeweils ein Stück für die beiden Sekretärinnen der Garage und ein Stück für ihn selbst. Immer wieder soll es vorgekommen sein, dass ein Stück Obst verdorben war. Es soll sich dabei um jenes gehandelt haben, das ganz unten im Papiersackerl lag. Wie allgemein bekannt war, überreichte er zur morgendlichen Begrüssung den Damen jeweils ein Stück Obst. Um dann - offenbar zu oft - ein verdorbenes Stück für sich selbst vorzufinden. Eines Tages soll er darüber so außer sich geraten sein, dass er hinaus auf die Straße lief und das verfaulte Stück Obst unter lautem Protest gegen das Obstgeschäft warf.
Herr Gussmann war Jude. Man ging davon aus, dass er wegen des Vorfalles angezeigt wurde, da die Verhaftung unmittelbar darauf erfolgte. Von wem, wusste die Familie nicht. Wir denken, es kämen durchaus verschiedene Personen in Frage. Eine Anfrage nach einem möglichen Zusammenhang / Verhaftungsgrund bei einem kompetenten Archiv (²) , führte diesbezüglich zu keiner Erkenntnis.
Nun erfuhren wir aus den Unterlagen, dass er damals auch der Büroleiter der Apollo Garage war. So konnten wir ihn, zusätzlich auf Grund des Alters (51), auf einem Mitarbeiterfoto identifizieren. Offenbar hat es doch noch Kontakt zur Firma gegeben, sodass ihm ein Referenzschreiben ausgestellt wurde. Laut einer Historischen Meldeauskunft beim Wiener Stadt- und Landesarchiv hat Herr Gussmann tatsächlich seinen letzten Wohnsitz in der Riemergasse Anfang 1940 abgemeldet, mit dem Ziel: USA
Sofort stellte sich der nächste drängende Gedanke ein: Hat er es an den italienischen Hafen geschafft? Ging er an Bord, welches Schiff der Italialine kommt in Frage? Kam er letztendlich in New York an? Nach unnötigem verzetteln mit der Suche nach Schiffsrouten, möglichen Passagierdampfern udgl. stellte sich die Antwort überraschend schnell und einfach heraus. Wir erinnerten uns an einen Besuch des National Museums of Immigration auf Ellis Island in New York. Damals konnte man nach in die USA ausgewanderten Verwandten direkt vor Ort recherchieren. Ein Blick auf die Hompage - et voilà! man kann es auch online machen. Es reichen bereits Name und Geburtsdatum für eine passable Auskunft.
Paul Gussmann ging am 20. Februar 1940, als Passagier der Conte Di Savoia, in Ellis Island (NY) von Bord. Seine Passage war für 1. Februar 1940 ausgestellt worden. Auslaufhafen war Genua (⁵).
Ob sein Bruder Hans, sein Neffe Victor und Schwägerin Rosa es auch geschafft haben, das wissen wir nicht. Amerika war jedenfalls nicht ihr Ziel. Mutter Berta ruht am alten jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs, gestorben ist sie im August 1938.